sehnsucht als antrieb


Warum haben wir Sehnsüchte? Warum dieser innere Drang, etwas tun zu wollen? Warum schaffen wir uns immer wieder Probleme? *
Biologisch kann man dieses Gebiet wie folgt betrachten: Das menschliche Hirn ist ein Löserhirn. Das heißt, es bastelt sich immer wieder Fragestellungen, um in Gebrauch zu bleiben. Hirnzellen, die längere Zeit nicht benutzt wurden, sterben ab. Da die wenigsten Hirne unserer Gesellschaft suizidal veranlagt sind (auch wenn man das zynischerweise behaupten könnte), stellen wir uns immanent neuen Herausforderungen bzw. Aufgaben, um dem Zelltod aus dem Weg zu gehen. Also neuropsychologisch recht einfach zu erklären. Zudem besitzt der Mensch eine Handvoll Triebe, die befriedigt werden möchten. Dabei spielen die Selbst-/ und Arterhaltung eine wichtige Rolle. Der Arterhaltungstrieb führt immer wieder zum Wunsch, eine partnerschaftliche Beziehung, ganz gleich  welcher Art und Zeitdauer (One-Night-Stands, Affären, Liebschaften, Romanzen, Beziehungen, Ehen, offene Ehen etc.) einzugehen. So haben auch die Teilnehmer meiner Studie des Öfteren mit Wünschen aus dem Beziehungsumfeld geantwortet.
Im Wort „Antrieb“, steckt ja schon das Wort „Trieb“ und diese Triebe treiben uns oft an, etwas zu tun. Unsere Grundbedürfnisse wollen gestillt sein. Es ist auch nichts Schlechtes, seine Grundbedürfnisse zu stillen, denn sie dienen der Arterhaltung und sind somit absolut notwendig. Sonst würde uns Sexualität und Nahrungsaufnahme einfach keinen Spaß machen. In manchen religiösen oder spirituellen Richtungen werden genau diese Triebe oft verneint. Natürlich darf man auch erwähnen, dass oft Dinge, die nicht der Arterhaltung dienen, Spaß machen. Im Gegenteil. Drogenkonsum und Alkoholismus sind mehr als kontraproduktiv und zerstören das „Selbst“. Beschäftigung, wie Hobbys, die die eigene Kreativität und Schöpferkraft fördern, führen auch oft zu einem freudigen Gefühl. Vermutlich könnte man sagen, dass der Mensch als solches eine Schöpfernatur hat. Sei es nun etwas Kreatives schaffen, wie beispielsweise ein Bild malen oder etwas aus Stein hauen, etwas Neues schaffen, wie beispielsweise eine neue Erfindung, kreativ in der Küche sein, oder ein neues Lebewesen erschaffen, indem man ein Kind zeugt. Sind diese Grundbedürfnisse also befriedigt, so fangen wir an, uns mehr und mehr mit den Sehnsüchten hinter den täglichen Verlangen zu beschäftigen. Vielleicht auch genau deswegen. Das Hirn hat mit den basalen Grundbedürfnissen nach Nahrung etc. nicht mehr genug zu tun und kann sich alleine schon deswegen auf „höhere“ Ebenen konzentrieren bzw. muss dies, damit es nicht großteils abstirbt.  Sehnsucht, ein Gefühl, das bittersüßer kaum sein kann. Ein Gefühl, dass kaum mehr zum Träumen, aber auch zum Handeln anregt. Natürlich wird die Sehnsucht von anderen Gefühlen, wie der Liebe, hervorgerufen, aber welches andere Gefühl lässt uns so träumen?
Der Sehnsucht geht allerdings ein Gefühl des Mangels voraus. Zuerst erleben wir einen Mangel, danach folgt die Sehnsucht. Ein Beispiel hierzu: wochenlang ist ein Mensch von Supermärkten und Einkaufszentren abgeschottet, wird aber regelmäßig mit Essen versorgt, was aber nur aus Wasser, Brot und Vitaminpillen besteht. Was denken Sie, wie lange es dauert, dass er anfängt von frischem Obst, Gemüse, oder etwas Deftigem zu träumen? Anfänglich wird er vielleicht noch Spaß haben an dieser Fastenkur, denn es mangelt ihm nicht an Vitaminen und sein Körper hat keine besonderen Entzugserscheinungen. Doch nach und nach, wird seine Fantasie immer mehr Gerichte kreieren. Vielleicht fängt das mit gekochten Nudeln an, vielleicht nur ein saftiger Apfel, bis hin zu zur fünf gängigen Menüs, Unmengen an Schokolade und allerlei Schlemmereien, die sich der Fastende ausmalen könnte. Nach und nach wird die Sehnsucht immer unerträglicher. Vielleicht schafft er es aber auch sich mit diesem Seelenzustand anzufreunden, das hängt vom jeweiligen Individuum ab. Jedoch wage ich zu behaupten, dass die Wenigsten dazu in der Lage wären.
Aus Sehnsucht können nun mehrere Optionen wachsen: Entweder eine gezielte Umsetzung bzw. einen Plan oder Resignation, Leid und Kummer. Immer wieder erlebe ich, wie Menschen scheinbar mit Wonne den zweiten Weg wählen und sich immanent darin suhlen. Konkret in unserem Beispiel würde derjenige, der den Mangel erlebt, einiges dafür tun, dass er seine Sehnsüchte, hier in Form von Essen, befriedigen kann. Vielleicht würde er einkaufen gehen und sehr viel kochen. Vielleicht würde er auch besonders schick essen gehen, oder einfach nur einen Apfel kaufen und den mit vollem Bewusstsein und Genuss verspeisen. Bei der zweiten Möglichkeit mit seiner Sehnsucht umzugehen würde derjenige immer und immer wieder sein Leid darüber klagen, dass er dies und jenes nicht habe. Vielleicht würde er anfangen Gedichte zu schreiben, ein Buch zu verfassen, ein Lied komponieren, ein Bild zeichnen, die seinen Schmerz, sein Leid, sein Sehnen zum Ausdruck bringen. Vielleicht würde er zu einem Psychotherapeuten gehen, seine Sehnsucht beschreiben, seinen seelischen Druck dahinter, oder würde er seinen Freunden permanent davon berichten, wie schlecht es ihm doch ginge mit seiner Sehnsucht nach Essen. Natürlich klingt es übertrieben in diesem Beispiel, veranschaulicht aber den Prozess.
Ich spreche hier übrigens nicht von der kleinen Alltagssehnsucht, die nicht drängt, sondern vielmehr von der Sehnsucht, die einen nicht schlafen lässt, die einen bei einem Liebesfilm weinen lässt, bei dem Anblick eines Gegenstandes seufzen usw...
Sehnsucht quält, aber Sehnsucht treibt auch an. Man kann sie wie einen Lehrer betrachten, der mit dem Rohrstock neben uns steht und immer zu uns auf einen Mangel hinweist, uns aber letztlich dazu motiviert über unsere Grenzen zu gehen und diese so auszuweiten. Ein Lehrer also, der uns zu Selbstverwirklichung und Grenzerfahrungen treiben kann. Sind das nicht die Lehrer, die wir im Leben benötigen?

* Ich gehe davon aus, dass unsere Probleme oft von uns selbst erzeugt werden. Natürlich sind wir auch von äußeren Umständen betroffen, allerdings bin ich der Ansicht, dass es unsere Entscheidung ist, wie wir damit Umgehen. Natürlich können wir uns als Opfer von Gegebenheiten sehen, aber wir können auch uns dafür entscheiden, dass wir ein Teil des Ursache-Wirkungsprozesses sind. Damit möchte ich keine These aufstellen, es dient lediglich als Gedankenangebot.

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